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Das Stehlen von Ideen ist jüngst unter dem Label 'Sampeln' in den
Hype kultureller Praktiken aufgenommen worden, derart euphorisch und vollumfänglich,
dass gar der 'Markt' nicht mehr umhin kam, die Früchte dieser neuen
Technik zu pflücken. Dennoch greift das 'Stehlen' offensichtlich
bestehender Ideen immer wieder nicht nur juristisch heikle Punkte an,
sondern irritiert innerhalb einer Kunst- bzw. Kulturkontextes Topoi, die
man der Vergangenheit anzurechnen glauben meint. Das Kopieren war schliesslich
jahrhundertelang Teil der künstlerischen Ausbildung und somit Grundlage
jeglichen künstlerischen Schaffens. Seit Duchamp und spätestens
mit Pop Art stellt zusätzlich das Uebernehmen ausserkünstlerischer
Codes/Zeichen/Gegenständen in den Kunstkontext weniger eine irritierende
als schlicht auch eine, sich den Mechanismen des Kunstbetriebes bewusste
Haltung dar: damals (und meines Erachtens nicht weniger heute) gilt es
als einigermassen verlässliche Karrierestrategie sich der künstlerischen
Avantgarde anzuschliessen oder sie gar mitzuformieren.1
Dass viele dieser avantgardistischen vielfach vorerst einem subkulturellem
Umfeld zugerechnet werden scheint eine Tatsache, deren Interpretation
genaueres Hinschauen und Untersuchen bedürfte.2
So scheint es heute gang und gäbe und karrierestrategisch keinesfalls
negativ sich gesellschaftlich relevanter Codes und Mechanismen zu bedienen,
um durch künstlerische Umarbeitung in die Gilde der darum-Wissenden
und davon-Profitierenden aufgenommen zu werden. Dies eine mögliche,
gewiss einseitige und eher bösartige Lesweise aktueller, künstlerischer
Produktionsweisen. Sampeln (und koperien) kann aber nachwievor als Strategie
der Aneignung gelesen werden, die sich vielmehr ungemütlich und widerspenstig
gegenüber hegemonialen Erzählungen und Praktiken gebahrt, die
nicht nur eine kritische Befragung gesellschaftlicher Bedingungen, sondern
zugleich eine ketzterische Stimme im Kunstkontext selbst abgibt.
Postmoderne Theorien betonen (insbesondere im Unterschied zu Theorien
der Moderne) die Abhängigkeit der Subjektkonstitution von kulturellen
und sozialen Codes3, das Sampeln als
Grundlage menschlicher Identifikation macht diesen Mechanismus nicht nur
zu einer Alltagsbanalität, sondern verweist darauf, dass kritische
Stellungnahmen und Praktiken sich ihrer Ausgangslage bewusst zu sein haben
um nachwievor effizient oder überhaupt hörbar zu sein. Denn
darin sind sich die meisten kulturkritischen Stimmen einig: obwohl die
postmodernen Theorien uns von allerhand Ballast der Moderne befreit haben,
kritische Positionen gegenüber einer nachwievor grossen Zahl realexistierender
Ungleichheiten sind vor diesem theoretischen Hintergrund nicht einfacher
zu finden. Vor dieser Ausgangsposition soll das Sampeln die Suche nach
kritischen Positionen in gesellschaftlichen und kulturellen Kontexten
sein, in denen ökonomisches und kulturelles Handeln zunehmend ähnlichere
Haltungen und Strategien aufweisen.4
In der Residenz wollen wir Personen versammeln, deren Vorgehen, Arbeiten,
Projekte oder Texte sich dieser Parameter bewusst versuchen, ketzerisch
zu agieren und wirksam zu werden. Die unterschiedlichen Hintergründe
der KünstlerInnen und TheoretikerInnen beleuchten Fragen der Aneignung
von Codes, ihrer Subversion, kritischer Stimmen und Positionen, des Potentials
künstlerischer Arbeitsweisen usf.
Netzwerke/n
'Erfolgsfaktor Networking' titelt das Thema des Swiss Economic Forums
2000. Vertreter aus Wirtschaft, Politik und Medien werden die Güten
des Netzwerkens predigen, was ebenfalls feministische Kreise und seit
kürzerem ebenso explizit künstlerisch-kulturelle Szenen für
sich als geeignetes Organisationsprinzip entdeckt haben. In der Tat liegen
die Ursprünge 'netzwerkerischem' Verbinden in sozio-ökonomischen
Analysen der späten achziger Jahre. Von feministischen Gruppierungen
und Interessensverbänden wurde dieser Gedanken und diese Funktionsmöglichkeit
schnell aufgegriffen und für ihre Zwecke instrumentalisiert, da erkannt
wurde, dass Beziehungen Solidaritäten bedeutet und diese wiederum
Bestandteil erfolgreichen Durchsetzens auch 'minoritärer' Standpunkte.
Im Kunstkontext bedeutete Netzwerken schliesslich auch ein Aufbrechen
der uralten und dennoch dominanten Vorstellung, dass künstlerisches
Arbeiten in der einsamen Atelierszene zu entstehen habe.5
Kulturelle Aktivitäten im Netz schliesslich haben mitunter zu einer
Euphorie geführt, die nicht nur aus einer technologiekritischen (oder
gar -feindlichen) Perspektive zu hinterfragen wäre. Inwiefern können
die Netz-Netzwerke über eine informelle Vernetzung und einen globaleren
Informationsaustausch sinnvoll und brauchbar sein. Insbesondere angesichts
der Tatsache, dass Individuen letzlich nebst global-kulturellen Codes
auch lokale Realitäten6 zu leben
haben.7 (OldBoysNetwork, Pantograph
- EuroVision 2000, MoneyNations, Critical Art Ensemble...)
Politics
Mit der Rezeption der klassischen Moderne in der Kunst (und vielen weiteren
wenig zeitlich präzise zu bestimmenden Momenten) hat sich populär
die Vorstellung durchgesetzt Kunst und Politik seien zwei separierte Felder.
Die seit den späten siebziger Jahren erneut intensiver und breiter
geführte Debatte um eine 'Rückeroberung des Politischen auch
im Künstlerischen'wird nachwievor teils äusserst ambivalent
weitergesponnen. So haben sich die Positionen darüber, was das 'Politische'
an und in der Kunst sei über die Jahrzehnte aufgefächert, immer
mehr wird ein politisch bewusstes künstlerisches Schaffen vor dem
Hintergrund postmoderner Theorien als kulturelles Schaffen oder als Repräsentationskritik
verstanden. Explizit politische Statements (wie man sie hauptsächlich
aus politischen Propagandas kennt) kommen in diesem Verständnis weniger
vor, ihre Eindeutigkeit scheinen vorerst dem komplexen Verständnis
von Gesellschaft in postmodernen Theorien nicht gerecht zu werden. Zeitgenössische
kulturelle Praxen fordern für sich politisches Bewusstsein ein, müssen
in der Regel aber nicht - wie dies Polit-Propaganda etwa muss - Rechenschaft
über Nutzen und Effizienz ablegen. Wie aber können politische
Ansprüche formuliert werden, wenn sie sich nicht an bestimmten Punkten
legitimieren müssen? Wie kann innerhalb eines Kunstkontextes politisch
explizit gearbeitet werden, ohne dass Trends und Vereinnahmungstendenzen
aus den Statements ästhetische Schönschreibereien machen (ein
Beispiel einer derartigen unentschiedenen Form scheint mir die documenta
X zu sein)? (Ralf Palandt, H. C. Dany,
Aneignung und Interpretation8
Sampeln bedeutet auch die Seite zu wechseln: vom Produzieren vorerst zum
Konsumieren - die kritische Rezeptionsforschung nennt dies auch Aneignung.
Cultural Studies haben diese Lesweise - nachdem in den fünfziger
Jahren die Jugend erstmals ernsthaft als kaufkräftige Masse gefeiert
wurde - etabliert, um Konsum/-verhalten nicht ausschliesslich als passives
verstehen zu müssen. Sampeln meint zudem die Form der Aneignung,
die das Konsumieren wohl voraussetzt, aber gerade auch dessen Destruktion
bzw. die Neuformulierung des Zersetzten meint. Dieser Prozess hat sich
gerade auch und insbesondere im künstlerischen Umfeld als stete Gratwanderung
herausgestellt: Wo lassen sich die Bedeutungen der benutzten Bilder/Methoden
unterwandern, wann schliesst das Sampling zu perfekt und geschmeidig an
bestehende Bildwelten an, so dass das neue Produkt als eines unter vielen
Neuen gelesen wird? Lassen sich verlässliche Strategien erarbeiten,
die ein ketzerisches Verhalten ermöglichen oder weisen sich effiziente
Strategien gerade durch ihre konstante Wandlung, Brechung aus? (Regula
Burri, Ellended/Liebl, UTV, Mary und Ausstellungspraxis...)
Hybridität
Das Konzept der Hybridität wurde im Umfeld der 'postcolonial studies'
erarbeitet, meint sehr vereinfacht auch ein Sampling kultureller Stereotypen,
die weder auf eine originäre Kultur aufbauen, noch an eine wie auch
immer geartete Kontinuität kultureller Zuschreibungen glauben. Hybridität
wurde von VertreterInnen der 'postcolonial studies' vorerst als positives
Konstrukt zur Aufspaltung kultureller Stereotypen und Hegemonien entworfen,
erhielt Kritik insbesondere weil das Konzept als intellektuelles Spiel
und als zu unpolitisch interpretiert wurde.9
Wie wird gerade dieser Ambivalenz im Kunstbetrieb (der ja seinerseits
auch als unpolitisch verstanden wird) Rechnung getragen?
(Gülsün Karamustafa, Pantograph)
Künstlerisches Selbstverständnis
Sampling meint auch - und nachwievor mit gleicher Dringlichkeit - eine
Infragestellung des künstlerischen Selbstverständnisses. Mir
scheint als bestehe ein einigermassen umfassendes kritisches Selbstverständnis
in künstlerischen Kreisen, das darüberhinaus eine Kritik gegenüber
dem Kunstbetrieb umfasst. Dennoch scheint dieser Betrieb seinen 'Angestellten'
bestimmte Charakteristikas zu bieten, die ihn nachwievor als interessant
und attraktiv erscheinen lassen. Wie kann damit umgegangen werden? Wie
ist es möglich eine strategisches Verhältnis zu diesem kontroversen
Betrieb einzunehmen? Was macht dieses Umfeld überhaupt attraktiv?
(Das KORN präsentiert, Andrea Saemann und Manifest)
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